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Die Wandertaube und andere Opfer der Artenvernichtung

01.September 2014

In diesem, durch mehrere „Jahrestage“ einiger unguter Ereignisse geprägten, Jahr sollte mit Blick auf die Bewahrung der Biodiversität, der biologischen Vielfalt, auch ein Gedenken an eine Vogelart einen gebührenden Platz finden. Denn auch die Vogelwelt hat einen betrüblichen Jahrestag: Am 1. September um 13 Uhr sind genau 100 Jahre vergangen, seit im nordamerikanischen Zoo von Cincinnati im US-Staat Ohio das letzte Exemplar der nordamerikanischen Wandertaube, man hatte sie „Martha“ genannt, im Alter von 29 Jahren verstarb. Man hatte seinerzeit noch versucht, die nahezu ausgestorbene Art durch Nachzucht in Gefangenschaft zu erhalten. Doch diese Tauben züchteten nicht in den Käfigen.

„Martha“ war die letzte ihrer Art! Und sie ist zugleich ein mahnendes Symbol für den Artenschwund und Verlust biologischer Vielfalt auf der Erde. Diese Taubenart, deren Individuen etwa die Größe der bei uns heimischen Ringeltaube hatten, aber in ihrem mehr lebhaft gefärbten Gefieder etwas schlanker und anmutiger erschienen als ihre europäische Schwester, ist unwiederbringlich verloren.

Leider wurde die Wandertaube ausschließlich durch das Wirken des Menschen vernichtet, der lediglich ein paar klägliche Museumspräparate dieser Art übrig gelassen hat. Rücksichtslose Verfolgung dieser Wildtaubenart hat ihre Ausrottung in einem erschreckend kurzen Zeitraum von kaum mehr als einem halben Jahrhundert bewirkt.

Bereits im Jahr1900

war die letzte freilebende Wandertaube abgeschossen worden und seit 1902 wurde kein einziger Vogel dieser Art mehr in freier Wildbahn beobachtet. Dabei stellte die Wandertaube einst nicht nur die häufigste Vogelart Nordamerikas dar, sondern nirgends auf der Erde gab es einen vergleichbar häufigen Vogel. Man schätzt, dass einst bis zu 5 Milliarden Wandertauben weite Gebiete des südlichen Kanada und der USA östlich der Rocky Mountains bevölkert hatten, deren Gesamtverbreitungsgebiet bis zum Golf von Mexiko reichte. Die Schwärme dieser zu den Zugvögeln zählenden Taubenart waren nach den Aufzeichnungen berühmter amerikanischer Naturforscher riesig: Mit bis zu kaum vorstellbaren 1,5 Milliarden Vögel in nur einem Schwarm! Tagelang zogen die ziehenden Tauben vorüber und haben regelrecht die Sonne verdunkelt. Sogar etwa 3,5 Milliarden Tiere hat wohl, so die heutigen Schätzungen, ein einziger Schwarm umfasst, der um 1860 nahe der kanadischen Stadt Toronto auf seinem tagelang währenden Zug nach Süden gesichtet wurde. Doch: Nur 40 Jahre später war die Art ausgestorben – ausgerottet!

Nach dem aktuellen Wissensstand müssen wir erkennen, dass in den letzten 500 Jahren weltweit mindestens 133 Vogelarten ausgestorben, für immer von der Erde verschwunden sind. Eines der berühmtesten Beispiele ist da der fast ein Meter große Dodo (=Dronte) aus Mauritius, ebenfalls ein Taubenvogel, dessen flugunfähigen Individuen bis zu 20 kg schwer wurden. Diese Art hatte sehr große Verluste erfahren durch die von Menschen auf der Insel eingeschleppten Wanderratten, Hausschweine und auch Affen. Aber wesentlich wurde der Untergang der Spezies innerhalb eines Jahrhunderts herbeigeführt durch die Bejagung und Verfolgung der wenig fluchtfähigen und deshalb leicht zu erbeutenden Tiere: So dass bereits um 1690 diese afrikanische Taubenart infolge der unerbittlichen und rücksichtslosen Verfolgung ausgerottet war. Als weiteres Opfer menschlicher Gier und gnadenloser Verfolgung der Wandertaube erfuhr dann eine weitere Taubenart die, durch hemmungslosen Raubbau an einem „Naturgut“ bedingte, Ausrottung.

Das Artensterben hält an

Welche Lehre zog aber der Mensch aus diesem Verlust der einmaligen Ergebnisse der Schöpfung, der Evolution, welche jede einzelne Art darstellt? Derzeit werden weltweit unglaubliche 1.226 Vogelarten als vom Aussterben bedroht eingestuft, von denen mindestens 190 als hochgradig gefährdet gelten. Somit sind etwa zwei Prozent aller weltweit bekannten Vogelarten akut vom Aussterben bedroht. Wobei wir alle die Verantwortung zu tragen haben wenn wieder einen Art verloren gegangen sein wird anstatt ihr allen nur möglichen Schutz, einen Opferschutz, angedeihen zu lassen!

Zwar stellt „das Kommen und Gehen“ der biologischen Arten einen Bestandteil der Evolution dar, der natürlichen Entwicklung der Arten. Aber solche evolutiven Vorgänge laufen über sehr, sehr lange Zeiträume ab. Hingegen war das, was das Verschwinden der vielen Milliarden amerikanischen Tauben in kaum mehr als einhundert Jahren zur Folge hatte, allein vom Menschen verursacht! Es waren wohl auch die Auswirkungen der auf dem amerikanischen Kontinent fortschreitenden Lebensraumzerstörung. Wie etwa die Rodung der großen Laubwaldgebiete, in denen sich die riesigen Brutkolonien der Wandertauben befanden, die jeweils bis zu mehreren hunderttausend Brutpaaren (!) umfasst haben. Die fortschreitende Erschließung des Landes durch Eisenbahnen und Verkehrswege, Siedlungen und die Errichtung hoher Gebäude (an welche ziehenden Schwärme anprallten!), sind vom Menschen verursachte Faktoren, die zum Lebensraumverlust der Wandertaube beigetragen haben; so wie viele anderen Formen der anthropogenen Landnutzung.      

Man mag es ja nicht glauben, dass eine so häufige Vogelart mit einem viele Milliarden Tiere umfassenden Bestand in so kurzer Zeit von der Erde verschwunden ist. Doch, das ist sicher, der wesentliche Grund dafür waren die von den Menschen verübten Massaker, denen die Art nicht standhalten konnte. Zwar hatte die Wandertaube zwei brutbiologische Besonderheiten aufzuweisen, in der Gründe für ihr trauriges Schicksal gelegen haben könnten: einmal die geringe Reproduktionsrate mit jährlich nur einem Jungen pro Taubenpaar und zum anderen das Brüten in den riesigen Kolonien. Worin aber unter den natürlichen Bedingungen ja gerade der Erfolg der Art begründet war, über den Lauf der Zeiten einen Milliardenbestand aufzubauen. Diese Fortpflanzungsstrategie hatte sich seit Urzeiten bewährt. Doch die hemmungslose Verfolgung durch Menschen hat dies binnen kürzester Zeit zunichte gemacht. – Die einheimischen Indianer hatten wohl auch die Wandertauben als Nahrungsquelle zu schätzen gewusst. Aber sie waren diesen Vögeln in Mythen, Erzählungen, Tänzen usw. eng verbunden, und die Einbuße durch Entnahme von Wandertauben zu eigener Ernährung hat dem Milliardenbestand keine Beschädigung zugefügt. Die durch diese Subsistenzjagd jeweils verursachten Verluste wurden in der nachfolgenden Brutsaison leicht wieder ausgeglichen.

Hingegen verübten die zur Zugzeit sich einfindenden Heerscharen von „Jägern“ mit ihren Schießgewehren rücksichtlose blutige Massaker, wenn sie tagelang gnadenlos auf die ziehenden Schwärme ballerten. Es ist überliefert, dass im Jahre 1878 in einer riesigen Brutkolonie mehr als 10 Millionen Tauben getötet wurden, die Kolonie vernichtet. So haben Schießer binnen weniger Jahrzehnte der Art den Garaus gemacht! Tonnenweisewurde diese Jagdbeute – oder eher: das Ergebnis hemmungsloser Gier und Lust am Töten – in Güterzugwaggons diese Jagdbeute in die großen Städte verbracht und als billiges Fleisch konsumiert. Zur Brutzeit schlug man mit Stöcken die Jungen aus den Nestern oder räucherte sie aus; damit man diese unschuldigen Opfer der Gier ebenfalls wieder als Billigfleisch vermarktete. Oder man trieb Mastschweine in die Wälder, damit sie sich an den von den Bäumen geschüttelten Jungtauben laben konnten …. !

Zwar wurde es registriert, dass in wenigen Jahren der Taubenbestand massiv kleiner wurde; aber beendet wurden die Massaker nicht – und dann war es zu spät. Die Wandertaube konnte ob ihrer Besonderheiten in der Brutbiologie, in der die immense Anzahl von Artgenossen in der Brutkolonie wohl einen Schlüsselfaktor dargestellt hat, nicht einmal in Gefangenschaft nachgezüchtet werden. Und so starb mit „Martha“ nach nur einem nur halben Jahrhundert der rücksichtslosen Verfolgung diese zuvor so unglaublich häufige Vogelart aus.

Verpflichtung zum Artenschutz

Ich meine, der Todestag von „Martha“, der letzten Wandertaube, muss uns alle sehr nachdenklich machen. So schnell verschwindet eine vormals so häufige Art für immer von der Erde! Weil der Mensch rücksichtslos mit Naturgütern umgeht, sie plündert und vernichtet. Und wir sehen einmal mehr, dass insbesondere die direkte Verfolgung („Jagd“ mag ich das gar nicht mehr nennen!) und blutige Gemetzel neben der Lebensraumzerstörung ursächlich ist für Dezimierung und Verlust der Arten. Darum sollte der zum einhundertsten Male sich jährende Tag des durch ihr letztes Opfer-Exemplar präzise dokumentierten Verschwindens der Wandertaube für uns die besondere Verpflichtung markieren: Dass wir uns mit allen Anstrengungen einsetzen gegen die ständig fortschreitende Lebensraumzerstörung und gegen die hemmungslose Verfolgung. Was wir wirksam als dem Vogelschutz verpflichtete „Nicht-Regierungs-Organisation“ (NRO / NGO) erreichen können durch den Ankauf von Grund und Boden, um auf diesen Schutzflächen dauerhaft Habitate zu bewahren. Zugleich aber müssen wir intensiv gegen jede Form der Verfolgung vorgehen.

Eine weitere Art in Gefahr: Die Turteltaube

Wir müssen weiter auf das generelle Verbot jeglicher Jagd auf Vögel hin arbeiten – EU-weit! – und insbesondere weiterhin intensiv gegen Wilderei an der Vogelwelt und den illegalen Handel mit Wildvögeln vorgehen. Denn die Wandertaube ist nur eines der zahlreichen Beispiele. Bleiben wir bei den Tauben: Zurzeit können wir zwar noch die Turteltaube in weiten Teilen ihres europäischen Verbreitungsgebiets antreffen. Doch droht dieser vor gut hundert Jahren fast überall häufig vorkommenden Taubenart womöglich ein ähnliches Schicksal wie der Wandertaube. Aber seit gut dreißig Jahren werden aus verschiedenen Gebieten wie Großbritannien, Frankreich oder Rumänien Bestandseinbrüche mit einem Rückgang um mehr als 50% berichtet. Europaweit beläuft sich zwischen 1980 und 2010 die Abnahmerate des Turteltaubenbestands auf 73%. Die Art verschwindet aus weiten Teilen der europäischen Landschaften.

Wesentliche Ursachen dafür dürften in der Lebensraumveränderung infolge der agrarindustriellen Feldbewirtschaftung liegen, welche das Verschwinden der aus allerlei „Unkräutern“ bestehenden Nahrungspflanzen zur Folge hat. Die immer mehr in der Monotonie nur weniger Pflanzenarten der Agrarkulturen verödenden Feldfluren liefern diesen Tauben nur noch bedingt passende Nahrung aus Weizen- Raps- oder anderen Getreidesamen und damit nur ein stark eingeschränktes Auskommen für diese Vögel. Das großräumig immer geringer werdende Nahrungsangebot scheint Veränderungen im Brutgeschehen zur Folge zu haben. Brüteten ehedem die Turteltauben meist drei bis viermal in einer Brutsaison, so finden derzeit nur ein bis zwei Brutversuche statt. Das lässt den starken Bestandsrückgang erklären. Denn statt ehedem 6 – 8 Junge vermag ein Paar nur noch 2 – 4 Küken hervorzubringen, was wegen der natürlichen Verluste kaum ausreicht, den Bestand also solchen zu erhalten.

Aber auch die jagdliche Verfolgung dieser Taubenart, deren Individuen als Zugvögel nur etwa ein halbes Jahr bei uns leben und zur Überwinterung in verschiedene afrikanische Räume ziehen, trägt in hohem Maße zu dieser betrüblichen Bestandsentwicklung bei. Zwar ist die Turteltaube durch die EU-Vogelschutz-Richtlinie von 1979 geschützt. In einigen EU-Mitgliedsstaaten, nämlich Österreich, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Malta, Griechenland, und Zypern, ist jedoch die Jagd weiterhin erlaubt. In anderen Ländern werden diese Tauben auch illegal abgeschossen; und die Kadaver sollen sogar für „Vogelpastete“ nach Italien und Malta geschmuggelt werden! Der Jagd zu reinen Sport- und Vergnügungszwecken fallen jährlich geschätzte 2 bis 3 Millionen Turteltauben zum Opfer. Bei einem Brutbestand von geschätzten 3 bis 6 Millionen Brutpaaren in Europa und Russland, die kaum noch halb so viele Junge pro Jahr hervorbringen und aufziehen können wie vor etwa einhundert Jahren, ist dieser jagdlich bedingte Aderlass zweifelsfrei als massiv wirkender Faktor einzustufen. Dessen Auswirkungen natürlich mit weiterer Verschlechterung des Zustands des Gesamtbestandes immer stärker spürbar werden und den Abwärtstrend bei dieser Art beschleunigen.

Zwar fordert die Vogelschutz-Richtlinie, so auch andere internationale Artenschutzkonventionen, dass eine Bejagung einer ziehenden Vogelart nur akzeptabel und zulässig sei, wenn sie nicht eine Verschlechterung des Gesamtbestandes bewirkt. Doch wird diese Forderung der EU-Richtlinie zur Farce, da niemand den tatsächlichen Bestand dieser Zugvogelart kennt, man nicht weiß welche widrigen Faktoren der Lebensraumveränderung und der Jagd, auch in den afrikanischen Überwinterungsgebieten, negativ auf den Bestand einwirken. Und von Seiten der EU wird trotz der Kenntnisse um den bedrohlichen Zustand nichts unternommen, diesen immer wieder als zweifelsfrei bestandschädigend erwiesenen Faktor auszuschalten und in allen EU-Staaten die Jagd auf Turteltauben endlich zu untersagen. – Damit nicht irgendwann wieder eine „Martha“ als letztes Opfer ihrer Art als Museumspräparat an den gewissenlosen Raubbau erinnert!

Kandidat: Die Ringeltaube

Die im Gegensatz zur zierlich kleinen, bis 160 g schweren, Turteltaube eher robuste und große (bis 600 g) Ringeltaube besitzt ein weites Verbreitungsareal über die bewaldeten Regionen in Europa bis nach Asien. Auf 30 – 70 Millionen schätzte man vor gut 20 Jahren den Weltbestand; in Europa auf 18 – 34 Millionen. Aber was ist das gegen die einstigen Milliarden Wandertauben?

Ringeltauben sind oftmals auch in Parks, Grünanlagen und Hausgärten usw. anzutreffen, auch schreiten sie dort zur Brut. Mit bis zu 6 Gelegen im Jahr, mit jeweils 2 Eiern darin, bringen sie mehr Junge hervor als die anderen Tauben. Aber die natürlichen Verluste sind hoch. Ringeltauben sind weniger ausgeprägte Zugvogel; gebietsweise bleiben sie auch das ganze Jahr, andere ziehen nur bedingt als Teilzieher und wieder andere sind Kurzstreckenzieher. Dennoch ziehen große Ringeltaubenschwärme im Winterhalbjahr unter Umgehung hoher Gebirge nach Süden und Südwesten und große Schwärme überqueren die Meerengen und die Gebirgspässe, z. B. die der Pyrenäen.  

Es ist unglaublich, was sich dort alljährlich abspielt, wenn sowohl französische wie spanische Jäger mit halbautomatischen Flinten in die ganz niedrig über die Bergpässe streichenden Schwärme hineinballern – ähnlich wird es einst in Nordamerika gewesen sein! Große Netze stellt man auf und mit Lockvögeln bestückte Baumfallen; keine Methode ist zu heimtückisch, um die hemmungslose Gier auszutoben und die vorbeiziehenden Schwärme zu dezimieren. Gerade die französischen Jager waren es auch, die schon um die jahrtausendwende Klage führten über den Rückgang auch bei den Ringeltauben. Sie bestätigten ungewollt das, was die Feldornithologen schon seinerzeit festgestellt haben: dass auch der europäische Ringeltaubenbestand sich im Rückgang von mehr als 25% befindet.

Wenn man den geschätzten deutschen Bestand von ca. 2,4 Millionen Brutpaaren betrachtet und dem die in Deutschland getätigten Jagdabschüsse von bis fast 1 Mio. Exemplaren – allein in NRW um ½ Mio. pro Jahr! Gegenüberstellt, dann lässt das nichts Gutes für auch diese Taubenart erwarten. Die Ringeltaube hat ohnehin eine natürliche Sterblichkeit von zirka 50%; da kann das hemmungslose Abschießen nur in einer Katastrophe für diese Vogelarte enden. Wird auch die Ringeltaube Opfer der Verfolgung?

Mehr Vogelschutz tut not!

Lassen wir uns nicht täuschen! Auch eine heute recht häufige Vogelart (nicht nur die Vögel!) kann „morgen“ schon selten und „übermorgen“ ausgestorben sein. Wie es das Beispiel der Wandertaube grausam aufzeigt.

Die Vögelhaben weltweit unter allen Tiergruppen wohl die größte „Fangemeinde“. Sie sind beliebt bei Jung und Alt, bei Laien wie bei Fachleuten. Man erfreut sich an ihrem Gesang, an ihrem oftmals farbenprächtigen Gefieder und vielfach auch an besonderen Verhaltensweisen. Der Vogelzug, bei dem manche Arten zweimal jährlich Entfernungen von tausenden Kilometern zwischen ihren Brutgebieten und den Überwinterungsgebieten bewältigen, und das nicht nur bei solchen Arten mit körperlich großen Individuen, ist eines der faszinierenden Phänomene in der Biologie der Vögel. Dies sowohl wegen der unglaublichen körperlichen Leistungen der Tiere als insbesondere auch wegen ihres Orientierungs- und Navigationsvermögens. Aber auch die vielfältigen Funktionen der Vögel in ihren Lebensgemeinschaften und Ökosystemen bieten noch viele ungeklärte Fragestellungen und bergen so manches Geheimnis. Unter den Vögeln finden sich sehr viele Arten, bei denen die Individuen über ein großes Lernvermögen und viele andere Tiere übertreffende Sinnesleistungen verfügen. Vögel üben deshalb auf so viele Menschen eine unbeschreibliche Faszination aus.

Das ist dann aber auch ein Grund, weshalb Vögel oftmals zumOpfer der egoistischen Begierden oder Rücksichtslosigkeit der Menschen werden. Wohl haben Menschen so mancher Vogelart Gutes angedeihen lassen; sei das ein weit übernatürlich hohes Nahrungsangebot auf landwirtschaftlichen Kulturen oder die Möglichkeit der Besiedlung von Gebäuden, die als Ersatz für sonst fehlende natürliche Nistgelegenheiten genutzt werden (Schwalben, Weißstorch, Schleiereule, Sperlingen u.a.). Doch sind Nachstellungen und Verfolgung so mancher Vogelart so unglaublich weit verbreitet, dass da eine gewaltige Dissonanz gegenüber der allgemeinen Beliebtheit der Vögel zutage tritt.

Opfer werden Vögel in einem seit Jahrzehnten zunehmenden Ausmaß durch Kollision mit technischen Einrichtungen, insbesondere mit Glasscheiben an Gebäuden, was mit der gravierenden Zunahme der Verwendung dieses Baustoffs an wahren „Glaspalästen“ stetig mehr Verluste unter den Vogelbeständen zeitigt. Besonders gravierend ist das wenn die noch unerfahrenen Jungvögel ausfliegen oder wenn auf dem Zug ortsfremde Tiere nicht mit den Hindernissen vertraut sind. Vögel kollidieren mit den immer schneller dahin eilenden Fahrzeugen auf unseren Straßen, mit Zügen und Flugzeugen. Es ist ein Millionenheer, das allein hierzulande an Todesopfern aus der Vogelwelt zu beklagen ist. Doch damit nicht genug: In einem ideologischen Irrlauf, im Zuge der unbestritten erforderlichen „Energiewende“ (die allerdings zunächst die Senkung der Energieverschwendung avisieren sollte!), hat sich in kurzer Zeit ein immenses Opferpotenzial für die Vogelwelt (und nicht zu vergessen: die Fledermäuse und Insekten) in Form der riesigen Windgeneratoren entwickelt, welche inzwischen allein bei uns in hoher fünfstelliger Anzahl zu Lande und nun auch zu Wasser ihre Massenvernichtung unter den flugfähigen Organismen verrichten. Selbst die Wälder bleiben nicht verschont, in denen man Kahlschläge anlegt und gigantische, die Baumkronen weit überragende, Rotoren errichtet. Da wird der Tod in einer bisher relativ sicheren Sphäre zu einem Alltagsphänomen und zum Albtraum des Artenschutzes.

Perfide ist, wenn Menschen in sogenannter Liebhaberei Vögel frei lebender Arten einfangen und diese Opfer in Käfigen zu ihrem persönlichen Ergötzen oder auch aus Profitgründen halten. Auch hier sind es wieder Millionen von Vögeln, die in Volieren ihr Dasein fristen. Manchmal werden dann Nachkommen herangezüchtet, häufig jedoch sind es aus freier Wildbahn – meist illegal – gefangene Exemplare, die da in Obhut der Vogelhalter stehen. Manipulierte Fußringe, die den gesetzlichen Bestimmungen der Haltungsbeschränkungen dienen und Überprüfbarkeit garantieren sollen, machen den Wildfang zur „Nachtzucht“.

Je seltener eine Art, je höher ihr Schutzstatus, umso höher der Wert eines Individuums. Vögel aus aller Herren Länder finden sich da und der Handel mit ihnen bringt den Händlern und angeblichen Züchtern hohe Gewinne. Es verlangt ein gieriger Schwarzmarkt nach immer mehr „Ware“. Bis zu 80% betragen bei der Plünderung freilebender Vogelbestände die Verluste auf dem Wege vom Tatort zum Kunden. Schmerzen, Leiden und Tod der gefiederten Opfer sind da allgegenwärtig, wenn es um die Befriedigung der Nachfrage geht. In der neben den Niederlanden und Belgien insbesondere Deutschland ein ganz besonders unrühmliches und als solches weltweit führendes Täterland abgibt.

Nicht minder ist die nach wie vor weit verbreitete Vogelstellerei, vor allem rund um das Mittelmeer. Mit großen feinmaschigen Netzen oder mit Leimruten werden in vielen Ländern, leider aber auch innerhalb der EU alljährlich viele Millionen Vögel gefangen. Nach der EG-Vogelschutzrichtlinie von 1979 ist der Fang der Vögel mit Netzen, Fallen, Schlingen und Leimruten untersagt. Der Europäische Gerichtshof hat dies in Verfahren gegen Italien, Spanien und andere bestätigt. Diese Fanggeräte fangen nicht selektiv; es werden auch Exemplare anderer geschützter Arten darin gefangen, nicht nur jener, die nach jeweils nationalem Recht legal gejagt werden dürfen. Dennoch liegt die Zahl der Opfer in hoher zweistelliger Millionenzahl – allein in den EU-Ländern.

In den spanischen Provinzen Katalonien, Castellon/Valencia wurde dieser Vogelmord weitgehend eingedämmt; das Vogelschutz-Komitee e.V. hat maßgeblichen Anteil, dass dort der Vogelfang mit Leimruten in den großen „Barracas“ genannten Fanganlagen praktisch zum Erliegen gekommen ist. Seit ein paar Jahren greifen Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte durch. Aber in Frankreich, Italien, Malta, Griechenland, Balkan und Zypern (abgesehen von den Nicht-EU-Staaten wir Ägypten) geht es weiter. In Zypern allerdings ist dank der massiven Schritte gegen die Vogelwilderer die Sache stark reduziert. Anhand der Zahlen von uns aufgespürten und unschädlich gemachten Vogelfangnetzen und Leimruten dürfte sich der Umfang auf vielleicht 10% dessen belaufen, was da noch vor knapp zehn Jahren stattfand. Aber, noch immer werden mehrere Millionen Vögel in der fast ganzjährig praktizierten Wilderei auf dem Durchzug gefangen und als „Delikatesse“ auf dem schwarzen Markt lukrativ verscherbelt. Die Mönchsgrasmücke gilt als „Kaviar“ Zyperns, und ein einziges solchesOpfer bringt dem Wilderer etwa 4 Euro ein. Wen wundert es, dass da einige Berufskriminelle ihr Unwesen treiben? Zu Lasten der Bestände durchziehender Vögel, die auf Grund weitentwickelter technischer Hilfsmittel wie elektronische Lockgesänge und hoher Mobilität der Wilderer mit Kraftfahrzeugen stärker dezimiert werden als je zuvor. Es ist noch ein langer Weg, auch diese Opferzahlen Vergangenheit werden zu lassen; noch immer findet das Vogelmassaker alljährlich in viel zu vielen Gebieten statt. Die Vögel erfahren viele Bedrohungen, unter denen zweifelsfrei die grassierende Lebensraumzerstörung maßgeblich wirkt. Tagtäglich in ungeheurem Ausmaß. Umso wichtiger ist es, auch dort direkt einzugreifen und Vögel wirksam zu schützen, wo akute Verfolgungsie zuOpfernwerden lässt. Deshalb gehen wir unermüdlich gegen die Vogelwilderei vor und wir treten wir ein für das Leben der Vögel frei von allen jagdlichen Nachstellungen.

Diplom-Biologe, Dr. Eberhard Schneider  
Präsident des Vogelschutz-Komitee e. V.