Welche Chancen bleiben dem „Hausstorch“ im Rhinluch?
Dr. Eberhard Schneider

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Nicht nur in, auch auf der Pension Adebar ist gut Ruhen. – Altstorch vom „Pensionshorst“ (Foto: Dr. E. Schneider/Vsk, Aug. 2011)

Es war nicht gerade schlecht, das Jahr der Linumer Weißstörche, wenn gleich nur noch sechs Brutpaare als solche zu verzeichnen sind. Bei 14 Horsten im Ort und bis vor wenigen Jahren noch einer zweistelligen Brutpaarzahl, ist der Rückgang eindeutig.

Über die Ursachen braucht man nicht lange zu diskutieren: Die ständige Zunahme der ökologischen Auswirkungen der die natürlichen Ressourcen ausbeutenden Agrarindustrie, welche sich nicht nur in einer noch immer fortschreitenden Austrocknung des ehemaligen Moores im Oberen Rhinluch äußert und in der maximiert intensiven Nutzung des Grünlandes ihren „ökologischen Abdruck“ hinterlässt. Auch die stete Ausweitung des Maisanbaus – inzwischen als  „Futter“ für die in der Region neu entstandenen Biogasanlagen, die von der EU sowie den Stromkunden hoch subventionierten, gefräßigen Vernichter der ursprünglich als Nahrung für Mensch und Tier angebauten Feldfrüchte besorgt dies. Die, nicht nur im Rhinluch, weithin sich erstreckenden Maismonokulturen bieten zwar den Wildschweinen und auch den im Herbst auf der Maisstoppel nach Ernteresten suchenden Kranichen ein passendes Nahrungsangebot; für die Störche sind diese ökologisch devastierten Flächen so nützlich wie ein asphaltierter Parkplatz. Kein Storch geht dort hinein, kein Storch kann sich dort ernähren. – Weshalb das Ende des „Storchendorf“ Linum wohl keine üble Fiktion ist. Die gewinnmaximierten Nachfolger der früheren LPGen katapultieren „Meister Adebar“ aus dieser Landschaft hinaus!


Noch kann das Rhinluch seine „Trittsteinfunktion“ im internationalen Vogelzuggeschehen halbwegs erfüllen, noch ist es Brutplatz für diverse Vogelarten. Doch der Weißstorch, die als solche gern apostrophierte Charaktervogelart, hat eine wichtige Indikatorfunktion inne. Seine lokale Bestandsabnahme – ganz im Gegenteil zur Entwicklung andernorts wie etwa in Hessen u.a. Bundesländern – im Rhinluch weist die schwindende biotische und ökosystemare Funktionsfähigkeit diese Gebiets aus.  


Maismonokulturen bedecken die Landschaft um Linum. Hier wächst das „Futter“ für die Biogasanlage, die Weißstörche gehen leer aus. (Foto: Dr. E. Schneider,/ VsK, Aug. 2011)


Naturschutzorientierte Wiedervernässung und andere Renaturierungsmaßnahmen sind im Rhinluch dringend geboten sind. Wozu das Eigentum an Grund und Boden die grundlegende Voraussetzung ist und demzufolge das Vogelschutz-Komitee sich mit dem Ziel des Biotopschutzes um den Erwerb von Grundflächen bemüht- wenn entsprechende Möglichkeiten sich bieten.

 

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Ein Kontrast – extensiv genutzte, nahrungsreiche Mähwiese bei Olsztyn (Allenstein) Masuren, Polen (Foto: Dr. E. Schneider/VsK, Aug. 2008)


Der Biotopschutz ist mehr als dringlich, so wie auch endlich die Ausweisung eines geplanten großen Naturschutzgebietes mit den unerlässlichen Restriktionen für die agrarindustrielle Nutzung der Grünlandbereiche mit ihren ohnehin schon stark devastierten Flächen. Weil aber die lokalen Agrarindustriellen mit ihren unerträglichen Einflussnahmen auf Politiker und deren beamtete Vasallen bei der Landesregierung erfolgreich insistieren, kommt nicht einmal das zustande. Das längst als FFH-Gebiet unter europäischen Schutz gestellte künftige NSG wird in erprobter Verschleppungstaktik nicht wahr. Die Umsetzung europäischen Rechts in nationales Recht (= bundesdeutsches Naturschutzrecht) wird anscheinend von der Potsdamer Landesregierung mit Vorsatz nicht realisiert. – Die dazu wohl fällig werdende Beschwerde bei der EU-Kommission führt dann am Ende dazu, dass die Bundesregierung einmal mehr eine Strafzahlung aufgebrummt bekommt, aber das brandenburgische NSG mit den ökologisch zwingenden Restriktionen für die agrarindustrielle Landnutzung bleibt auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Die politisch protegierte Maßlosigkeit, der dem Allgemeinwohl zuwiderlaufende arrogante Egoismus ausgerechnet derjenigen Großagrarier, die Millionenbeträge aus EU-Subventionen kassieren, lassen die Erfüllung einer Verpflichtung in der europäischen Staatengemeinschaft zur lächerlichen Farce werden. Das vom schrumpfenden Weißstorchbestand ausgehende Signal interessiert da nicht – und keiner aus der Region traut sich, in der Verdrängung des eigenen Bewusstseins, dagegen den Mund auf zu tun! - Stattdessen verkauft man „Patenschaften“ gegenüber Jungstörchen, als ob jenen damit irgendwie geholfen würde; oder man sammelt für die Anschaffung von GPS-Sendern, um die Störche „auf ihrer Reise zu begleiten“ (Märker Nr. 34 v. 27./28. August, S. 7).


Trotz der erneut verschlechterten Ernährungssituation, denn der Maisanbau hat auch vom vorigen zum jetzigen Jahr wiederum eine Ausweitung erfahren, haben es die sechs Linumer Brutpaare geschafft, 15 Junge erfolgreich aufzuziehen und bis zum Wegzug mit Nahrung zu versorgen. Es gab zuvor nur einen Todesfall - durch die Strangulation eines Nestlings in einem Bindegarn, jenem, als tödliche Vogelschlingen bildend längst bekannten, gefährlichen Begleitwerkzeug der Agrarwirtschaft.


Im Altkreis Neuruppin, dem Linum zugehörig ist,  wuchsen insgesamt 111 Jungstörche auf, die von 48 Brutpaaren gezeitigt worden waren. Wobei in dieser Region sogar mehr Horste besetzt waren als im Vorjahr. Opfer des „amtlichen“ Beringers wurden da  übrigens insgesamt 70 Jungstörche, darunter auch alle Linumer Jungvögel. Die müssen nun mit dem scheußlichen Fremdkörper oberhalb des Fersengelenks ihr Restleben verbringen. Sofern ihnen der, für den Vogel reichlich nutzlose, Ring nicht zum Verhängnis wird -  wenn in afrikanischen Gefilden dieser Ring als Trophäe, zu seinem späteren eigenen Halsschmuck dienend, von einem Einheimischen erbeutet wird;  oder wenn der zur Abkühlung und Reflexion der Sonneneinstrahlung auf die langen Beine gespritzte eigene Kot des Storchs sich festsetzt, verhärtet und allmählich das Bein amputationsgleich „abbindet“). 


Auch die Widrigkeiten des anhaltenden Niederschlags, der dem Rhinluch ökologisch segensreiche Wassermassen beschert hat, haben die Störche wider gängiges Erwarten gut überstanden. Zum Glück setzte nach der anhaltenden großen Trockenheit des Frühjahrs die Regenperiode erst ein, als die Jungstörche schon gut befiedert waren, auf dem Horst standen und nicht mehr vom Altvogel gehudert und gewärmt werden mussten. Während der teilweise kräftigen und anhaltenden, z. T. auch von heftigem Wind begleiteten, Regengüsse standen die Störche gegen die Windrichtung ausgerichtet auf dem Horst und harrten aus. Dies war besonders gut zu beobachten an den drei Jungstörchen in dem auf einem hohen Schornstein stehenden „Pensionshorst“; auf dem sind ja die Vögel völlig wetterexponiert und – vermenschlichend betrachtet - „schutzlos“ den Witterungsunbilden ausgesetzt. Das, zu der Zeit schon gut geschlossene, dicht angelegte Gefieder ließ den Regen am aufrecht gereckten Körper abfließen (so wie das alle Vögel praktizieren, um das Eindringen des Wassers zu unterbinden) und ebenso den Wind abgleiten. So dass Wärmeverlust und Verklammung minimiert wurden, wenngleich sich dem Betrachter ein „Bild des Jammers“ bot, wie die Tiere da so in ihrer Höhe Stand hielten. Freilich fanden dann nach Regenende und zwischenzeitlichem Sonnenschein ausgedehnte „Putzorgien“  mit sorgsamer und essenzieller Gefiederpflege statt.  – Gleichermaßen gaben sich auch die  Altvögel, die sich wegen Platzmangels im Horst, als Standort dazu, wie auch für die Übernachtungen, das Dach des großen Hofgebäudes auserwählt hatten.

 

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Erste Flugversuche – Jungstörche auf dem „Pensionshorst“ – LP Adebar, Linum (Foto: Dr. E. Schneider/VsK, Aug. 2011)

 

Freilich stellt Dauerregen nicht das Optimum für die Entwicklung der Storchennestlinge dar, doch hat der viele Regen deutlich andere Vorteile nach sich: ein reiches Nahrungsangebot. Am „Pensionshorst“ war gut zu beobachten, dass die Altvögel jeder mindestens 4 – 5 mal pro Tag Futter eingetragen haben. Dem gegenüber hatte es Anfang Juni Stunden gedauert, bis das Männchen eine Portion bei den in´s Netz gedrückten Jungen und dem voller Ausdauer auf dem Horst stehenden Weibchen  „abgeliefert“ hatte. Die seinerzeitige Trockenheit im Mai zog deutlich eine Nahrungsknappheit für die Störche nach sich. Die Mahd des Grases im Luch erbrachte einen deutlich geringeren Biomasseertrag, auch die Beute für die Störche war weniger abundant. So fanden sich zwar wie aus früheren Jahren gewohnt, die Störche der Region hinter den Maschinen ein, wenn die ihre Mähtätigkeit aufnahmen. Aber, so berichten Traktorenfahrer, es gab so wenig an Beute einzufangen, dass die meisten Vögel dann alsbald den jeweiligen Ort verließen und woanders Futter suchten.


Als auf dem „Pensionshorst“ um den 26./27. Mai die drei Küken schlüpften, war die Ernährungsperspektive nicht sehr rosig. Trockenheitsadaptierte Heuschrecken fehlen auf dem industriemäßig genutzten Grünland weitestgehend, so auch andere größere Insekten in dem spärlichen Bewuchs. Auch Feldmäuse waren wenig zahlreich. Mit dem dann einsetzenden Regen änderten sich die Dinge, mit dem Pflanzenwachstum entwickelte sich auch das tierliche Angebot für die Störche. Den wahren Durchbruch brachten dann die Folgen der überdurchschnittlichen Niederschläge. Weite Flächen des Luchs wurden durchnässt und es bildeten sich offene Wasserblänken. Um solche herum konnte man in der Region immer wieder Ansammlungen der Weißstörche beobachten; oftmals konnte man zwanzig und mehr Tieren an jeweils so einem „gedeckten Tisch“ beobachten.


Wie segensreich sich die Niederschläge im Luch ausgewirkt haben, war auch an anderen Vogelarten sichtbar. Große Scharen von Kiebitzen fanden sich in dieser „Trittsteinregion“ ein, zahlreiche Limikolen diverser Arten, unter anderem auch bis zu 18 Stück Großer Brachvogel (eine authentische Beobachtung unseres Mitarbeiters C. Voye´ berichtet von einem Trupp mit sechs Brachvögeln, die sich im Gebiet aufhalten (wo er auch schon lange nicht mehr festgestellt worden war).  Diese Vögel konnten endlich einmal wieder im genügend nassen Erdreich mit dem Schnabel nach Nahrung stochern. Für die Beutetiere bedeutetet die totale Wassersättigung oder Überstau der Böden, dass sie nach oberirdisch ausweichen musst. Ob nun Regenwürmer, Mäuse, Maulwürfe, sie mussten dem Tode durch Ersticken oder Ertrinken ausweichen und irgendwo oberirdisch verharren – wo die Störche leichten Zugriff hatten. Somit hat der reiche Niederschlag den Nestlingen gute Ernährungsbedingungen vermitteltet, ihnen keineswegs das Aufwachsen erschwert (wie sogar manche Storchenexperten annahmen, die sich dahingehend artikulierten).


Ab Anfang Juli gab es dann die ersten „Hüpfer“ auf dem Horst, es wurden Erfahrungen gesammelt, wie es sich anfühlt wenn da plötzlich „Luft unter die Flügel“ kommt. Wahrhaft akrobatisch perfekte Leistungen erbrachten die Jungvögel, welch selbst bei starken Windböen immer wieder sicher am Nestrand zu stehen kamen, wenn sie ihre „Flattersprünge“ absolvierten und sich dabei wie gut geübte Könner gegen den Wind stellten. Dann kamen die ersten Kurzausflüge hinzu und bald danach die frühmorgendlichen Starts zu den Nahrungsflügen. Am 18. Juli hatten sich dann alle Jungstörche aus Linum auf den Zug begeben.


Die Elternvögel vom „Pensionshorst“, welche die Wochen zuvor wegen des Platzmangels im Horst nicht dort übernachten konnten und auf dem benachbarten Dach ihr „Nachtquartier“ fanden, wo sie stehend die Nächte verbrachten, kehrten auf den Horst zurück. Dort ruhten sie viel, um ihre eigenen  Reserven aufzubauen und in gute Flugkondition für den Zug zu kommen. Zugleich lief die Mauser ab, wie die zahlreichen herumliegenden Federn auswiesen. Am 27.08. war ein Trupp von über 30 Störchen über dem Ort Linum zu beobachten.Die auf dem Zug befindlichen Tiere nutzten die Thermik aus, um in größere Höhe zu gelangen, und zogen dann weiter.  Die Linumer Artgenossen folgten ihnen auf dem Weg der „Ostroute“ über den Balkan, Bosporus, Palästina in Richtung Afrika – am 28. August waren die Horste verlassen und man kann jetzt nur auf eine Wiederbesetzung im kommenden Jahr hoffen.

 

Erfolgreiche Paare waren in diesem Jahr auf den Horsten:
Schule (Naturschutz-Station) = 3 Jungstörche,  Kirche =  2 Jungstörche,  Haikara = 2 Jungstörche, Pension (Landpension Adebar) = 3 Jungstörche,  Torfstecher =  2 Jungstörche,   Hebamme =  3 Jungstörche die erfolgreich bis zum Wegzug waren.